Seit fünf Jahrzehnten gibt es das Haus Hörn. Das wird am 16. Juni feste im Aachener Westen gefeiert.
Mit dabei: Winfried Winkler. Der 62-Jährige gestaltet die Geschicke des Hauses seit etwa einem Jahrzehnt im Leitungsteam rund um Geschäftsführer Manfred Vieweg mit. Der Altenhilfe verschrieben hat er sich jedoch sein ganzes Berufsleben lang, immer in Aachen. Winkler, heute Leiter des Seniorenhauses im Haus Hörn, erzählt AZ-Mitarbeiter Thomas Hohenschue im Wochenendinterview, was ihn an diesem Berufsfeld begeistert und was ihm wichtig ist, um in der Arbeit, in der Rolle und im Leben zu bestehen.
Eigentlich wollten sie Kinderarzt werden. Wie kam es dazu, dass sie stattdessen zeitlebens mit alten Menschen arbeiten?
Winkler: Das ehrliche Wort eines guten Freundes brachte mich auf eine neue Spur. Er sagte zu mir: Überlege es Dir gut – wenn Kinder etwas Schlimmes haben, ist das eine ganz andere Hausnummer als bei älteren Patienten. Viele Deiner kleinen Patienten werden nicht sprechen können, kaum einer von ihnen wird Dich mögen. Mit all dem musst Du umgehen können. Ich habe daraufhin ein Praktikum in der Altentagesstätte von St. Adalbert gemacht. Und schon war ich infiziert.
Was hat sie denn so infiziert?
Winkler: Es ist dieser unglaubliche Reichtum an Lebensgeschichten, die einem in dieser Arbeit begegnen. So eingeschränkt viele Frauen und Männer im hohen Alter sind, so sehr haben sie doch ihr eigenes, individuelles Leben gelebt. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen haben dieses Leben geprägt, sie sind Zeugen
ihrer Zeit und damit lebende Geschichte. Ich finde das in dieser Ballung einzigartig und faszinierend. Meine Entscheidung gegen die Kindermedizin, für die Altenhilfe habe ich keine Sekunde bereut, ließ und lässt sie mich doch an diesem Reichtum der älteren Menschen teilhaben. Das hält mich ehrlich gesagt richtig jung, auch mit 62 Jahren.
Worauf kommt es neben dieser Neugier auf die Biografien der Menschen in diesem Beruf an?
Winkler: Allem voran geht es um die Würde. Auch wenn der ältere Mensch Fähigkeiten verloren hat, krank oder schwach ist, steckt in ihm die Würde, die wir alle haben und die unser Grundgesetz allen garantiert. In der Altenhilfe versuchen wir alles, was möglich ist, damit der Bewohner bei allen Einschränkungen ein würdiges Leben verbringt. Und das heißt für mich, in dem pflegedürftigen Menschen die Persönlichkeit zu sehen, die er sein ganzes Leben lang war. Diese Persönlichkeit gilt es zu achten, gleich wie eigen oder fremd sie einem selbst vorkommt. Man muss auch in schwierigen Situationen den kompletten Menschen sehen. Diesen Respekt vor dem Einzelnen habe ich schon im Altenheim Heilig Geist gelernt.
Inwiefern?
Winkler: Da waren viele der männlichen Bewohner speziell, auch in dem, was sie von ihrem Leben im Alter erwarteten. Da begegnete mir ein Bewohner im Unterhemd und sagte mir dazu: „Ich bin doch kein Mannequin.“ Aus diesen Begegnungen habe ich viel gelernt, auch für meine Aufgabe als Leitungskraft.
Man muss die Menschen lassen, wie sie sind, und die Rahmenbedingungen darauf ausrichten. Ihr Leben soll so individuell und normal sein, wie es irgendwie geht. Dafür haben wir zu sorgen. Nicht ihre Defizite sollen im Vordergrund stehen, sondern ihre Ressourcen. Was die Bewohner noch können, gilt es zu bewahren und zu fördern. So kann man, wenn etwas gefallen ist, ruhig mal warten, ob der Bewohner es selber aufheben kann, bevor wir es für ihn tun.
Viele können noch vieles, es dauert eben nur länger, und wenn wir es immer übernehmen, werden sie es irgendwann verlernen oder nicht mehr können. Und selbstverständlich kann jemand bei uns im Haus Hörn auch drei Stunden frühstücken, wenn er es dadurch selbstständig und mit Genuss tut.
Das alles hat mit Würde zu tun.
Kehrt nach Jahrzehnten in dieser arbeit so etwas wie Routine ein?
Winkler: Sicher wächst die Erfahrung, wie man Situationen handhabt. Aber kein Tag gleicht dem anderen. Sie wissen als Mitarbeiter und als Leitungskraft morgens nie, was passiert. Bewohnern geht es anders als am Vortag, Kollegen werden krank, Angehörige wenden sich mit Fragen an Sie, Behörden prüfen unangemeldet – immer gilt es zu improvisieren und dabei den guten Rahmen für alle Beteiligten zu wahren. Ganz entscheidend finde ich auch, stets an der eigenen Weiterbildung dranzubleiben. Schließlich verändert sich ständig das Umfeld für die Altenhilfe. Und auch die Menschen selbst ändern sich. So langsam stirbt die Kriegsgeneration aus und mit ihnen die Geschichte von Tätern, Opfern, Mitläufern. Jetzt kommt die Aufbaugeneration zu uns, die Deutschland zum Wirtschaftswunderland machte. Es wird einfach nicht langweilig bei dieser Arbeit, auch über Jahrzehnte hinweg – und diese ständige Veränderung hält einen fit.
Wenn die altenhilfe so vielseitig ist, wie gewinnen sie dann mehr Nachwuchs für diesen Beruf?
Winkler: In der Tat zieht der Fachkräftemangel an, das trifft alle Einrichtungen gleichermaßen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen. Man kann neue Mitarbeiter bei anderen Häusern abwerben – oder man kann den Nachwuchs in der Altenpflege selbst ausbilden. Im Haus Hörn gehen wir den zweiten Weg, den finden wir kollegialer und zukunftsweisender. Außerdem bieten wir hier allen Mitarbeitern gute Rahmenbedingungen, sich beruflich zu entfalten, sich weiterzuentwickeln, sich fortzubilden, Familie zu leben. Ich selbst habe es sehr geschätzt, wie stark mich das Haus Hörn darin unterstützt hat, meine sterbende Frau bis zum Schluss zu begleiten. Ich sehe hier vieles, was die Mitarbeiter bindet, wir haben entsprechend wenig Fluktuation. Es gibt zum Beispiel viele Freiräume,Dinge zu gestalten. Das Haus ist immer am Puls der Zeit. Der Gründergeist der Oratorianer wirkt, mit ihrem Weitblick und ihren Werten. Wir bieten unseren Mitarbeitern verlässliche Rahmenbedingungen. Und nicht zuletzt: Im Haus Hörn wird viel gelacht und wir verstehen es alle miteinander, gut zu feiern. sie haben als Weiterbildner große erfahrung.
Worauf kommt es IhrerAnsicht nach an, wenn man heute in der Altenhilfe beruflich Fuß fassen möchte?
Winkler: Aus meiner eigenen Rolle als Leiter des Seniorenhauses im Haus Hörn heraus kann ich sagen: Die Zeugnisnoten eines Bewerbers sind immer das Letzte, worauf ich schaue. Auch auf Alter, Geschlecht und Herkunft kommt es nicht an. Vielmehr muss der Bewerber eine gewisse Begeisterung für den Beruf
mitbringen,Empathie für die alten Menschen und für die Kollegen, Power und Einsatzbereitschaft. Auch die Fähigkeit zu lächeln kann nicht schaden. Dies alles müssen wir aber auch vorleben. Das versuche ich seit nunmehr 30 Jahren, in meinen Weiterbildungen zu vermitteln.
Die Anforderungen des Berufs sind hoch, wie kommt man da gut und gesund durch?
Winkler: Zum einen durch eine gute Kultur in der Einrichtung, wie ich sie hier am Haus Hörn erlebe. Zum anderen durch die richtige persönliche Haltung zur Arbeit. Sie ist ein fester, wichtiger Bestandteil des Lebens. Aber sie darf es nicht dominieren. Es muss daneben Zeit und Kraft für einen selbst bleiben, für Familie, Freundschaft, Hobbys. Dafür hat man selbst die Verantwortung. Sich dafür Raum zu schaffen, trägt einen durch den Alltag. So eine Haltung ist auch wichtig, wenn es in Richtung Ruhestand geht. Ich habe bei vielen beobachtet, wie leer ihr Leben wurde, als sie verrentet wurden. Das wird mir nicht geschehen, mir waren die anderen Dinge immer sehr wichtig und ich habe sie gepflegt. So gerne ich arbeite und das auch gerne etwas länger als erforderlich, so sehr werde ich nicht in ein tiefes Loch fallen, wenn es mit der Arbeit zu Ende geht. Ich bin ein relativ glücklicher Mensch.
Zum Leben gehört der Tod, das erfahren sie hier sehr oft. Wie gehen sie selbst damit um?
Winkler: Darauf möchte ich professionell und persönlich antworten. Als Leiter des Seniorenhauses im Haus Hörn begrüße ich jeden Bewohner und ich verabschiede ihn, wenn es so weit ist. Die Mitarbeiter begleiten die Bewohner in der Sterbephase, was ich in dieser Intensität und mit dieser Kompetenz gar nicht leisten kann. Aber mir ist es wichtig, von dem gestorbenen Menschen Abschied zu nehmen. Ich baue zu jedem Bewohner eine Beziehung auf und kenne seinen Namen und seine Geschichte. Das wird allerdings zunehmend schwieriger, weil die Menschen immer später zu uns kommen und dann früher gehen. Im Schnitt sterben die Menschen heute im ersten Jahr nach ihrem Einzug. Früher blieben sie Jahre, teils Jahrzehnte.
Und Ihre persönliche Antwort?
Winkler: Wenn es eine Sicherheit gibt, dann die: Wir gehen alle. Bei der Arbeit in der Altenhilfe bekommt man einen persönlichen Bezug dazu. Auch wenn ich hier immer „der junge Mann“ bleibe, rückt das Thema Tod mit 62 Jahren sicher näher als mit 25. Aber ich habe keine Angst davor. Denn ich habe seltenst einen toten Menschen gesehen, der unglücklich aussah. Aus meinem christlichen Glauben heraus trägt mich die Hoffnung, dass es gut aus- und weitergeht.
Thomas Hohenschue
Quelle: Aachener Zeitung vom 9. Juni 2018
Foto: Andreas Steindl
Mit freundlicher Genehmigung der Zeitungsverlag Aachen GmbH, Aachen, http://www.zeitungsverlag-aachen.de/
veröffentlicht am 12. Juni 2018 in den Kategorien Allgemein, AZ, Pressespiegel