„Ich sage ja zumLeben und zu den Menschen“
Im Samstagsinterview: Inge Nadenau leitet das Hospiz in Haus Hörn. es geht darum, einen Lebensraum zu schaffen, in dem sich sterbende geborgen fühlen.
Wenn Inge Nadenau die Tür zu ihrem Büro öffnet, kommt Ice herausgesprungen. Ice ist eine junge Terrier-Hündin und macht nur gute Laune. Das passt gut ins Haus Hörn, vor allem ins dortige Hospiz. Inge Nadenau ist Leiterin des Hospizes. Sie strahlt Gelassenheit und Wärme aus. Wichtige Voraussetzungen für ihren Beruf.
Ist in Ihrem Haus Lachen unangebracht?
Nadenau: Wir haben doch heute schon gelacht! Lachen gehört zum Leben, genauso wie die Geburt und das Abschied nehmen. Hier wird viel gelacht.
Muss man ein positiver Mensch sein, um in einem Hospiz arbeiten zu können?
Nadenau: Ich würde eher sagen lebensbejahend. An einem Ort, an dem man sich mit dem Tod und Sterben befasst, muss man ja zum Leben sagen. Genau das zeichnet viele Mitarbeiter im Hospiz aus. Und genau das geben wir auch den Gästen im Hospiz und deren Familien mit auf den Weg.
Aus welcher Motivation heraus haben Sie Ihre Tätigkeit im Hospiz begonnen?
Nadenau: Vor zehn Jahren habe ich noch nicht geahnt, dass ich heute ein Hospiz leiten würde. Manchmal sind es viele Zufälle, die einen Weg bestimmen. Der rote Faden in meinem Berufsleben war, dass ich immer mit Menschen in Notsituationen zu tun hatte: beim Notruf für vergewaltigte Frauen genauso wie bei der Arbeit mit dementiell veränderten Menschen. Ich habe relativ spät studiert und mich dem sozialen Bereich zugewendet. Ich hatte dann die Chance, das Begegnungszentrum von Haus Hörn zu übernehmen. Irgendwann fragte mich der Geschäftsführer von Haus Hörn, Manfred Vieweg, ob ich die Leitung des Hospizes übernehmen wolle.
Übernimmt man solch eine Aufgabe mit fliegenden Fahnen?
Nadenau: Ich war zunächst sprachlos, aber auch ein bisschen stolz, dass man mir diese Arbeit zutraute. Ich habe über das Angebot mit meinem Mann gesprochen und mich dann für diese Herausforderung und sehr schöne Arbeit entschieden.
Kann man angesichts von Tod und Sterben von schöner Arbeit sprechen?
Nadenau: Es ist eine schöne, weil sehr bereichernde Arbeit. Ich habe viele Erkenntnisse über das eigene Leben und seine Wertigkeit gewonnen. Wir lernen unsere Gäste sehr gut kennen, entwickeln teilweise auch sehr persönliche und intensive Kontakte und haben Teil an einem ganz besonderen Lebensabschnitt. Das ist manchmal sehr schwer – aber auch sehr erfüllend.
Besteht da nicht die Gefahr, sich die Schicksale zu sehr zu Herzen zu nehmen?
Nadenau: Man muss sich auf Kontakte einlassen, nur hier, im direkten Bereich des Hauses seine Arbeit zu machen, ist auch nicht gut. Wir sind Menschen und können ein Gefühl oder Gedanken nicht immer und unbedingt an der Türe abstreifen. Das ist auch gut so. Um mit den Schicksalen klar zu kommen, ist auch ein Stück Professionalität gefragt. Man kann das lernen. Wir erhalten hierfür auch Supervision also professionelle Hilfe. Als ich die Leitung übernommen habe, feierte Haus Hörn gerade den 25. Geburtstag. Ich habe damals mit Clementine Louven, die mit Pastor Dr. Paul Türks das Hospiz hier gegründet hat, telefoniert. Dieses Telefonat hat mir viel Kraft gegeben, die Arbeit meiner Vorgängerinnen fortzusetzen. Und ich habe schnell festgestellt, dass meine Kollegen dies gerne mittragen. Schließlich war das Hospiz auf der Hörn das erste Hospiz in Deutschland, auch wenn das nächste Hospiz in Recklinghausen nur einige Wochen später eröffnete.
Wie viele Plätze haben Sie in Ihrem Haus?
Nadenau: Wir haben Platz für zwölf Gäste, die alle in Einzelzimmern mit Pflegebädern und fast alle mit Balkon leben. Als das Haus 1986 eröffnet wurde, gab es 53 Pflegebetten. 2002 ist daraus dann auch der Bereich der intensiven Langzeitpflege erwachsen – heute mit 26 Pflegebetten für schwerstkranke Menschen ohne begrenzte Lebenserwartung. Der Gesetzgeber schreibt vor, dass ein Hospiz maximal 16 Plätze haben darf. Entscheidend ist, einen Lebensraum zu schaffen, in dem sich unsere Gäste und Angehörige wohlfühlen, d.h. ein selbstbestimmtes und familiäres Miteinander zu ermöglichen.
Mit welchem Personalstab machen Sie dies?
Nadenau: Wir arbeiten mit einen Personalstellenschlüssel von 1:1,2 in der Pflege. Zu dem kommen noch Kollegen im Sozialen Dienst, Seelsorge und Hauswirtschaft. Über 20 Ehrenamtliche unterstützen uns und gestalten mit den Gästen und ihren Angehörigen den Alltag. Lebensqualität soll für Menschen in ihrer letzten Lebensphase erfahrbar werden oder auch erfahrbar gehalten werden. Dies kann über kleine ‚Episoden des Alltags‘ funktionieren, über ein besonderes Essen, über einen gemeinsamen Spaziergang, ein Gespräch und ähnliches. Wir haben hier zwölf Vollzeitstellen, die sich auf 16 Personen aufteilen.
Wieso spricht man eigentlich in Hospizen von Gästen?
Nadenau: Der Name stammt aus der Geschichte der Hospize im Mittelalter. Klöster entlang der Pilgerstraßen haben Pilger und Kranke eine Herberge gegeben. Dies waren die ersten Hospize. Die Menschen, die dort Unterkunft fanden, waren Gäste. Der Begriff Gast drückt aber auch unsere Haltung gegenüber den Menschen aus: Er ist unser Gast. Er und seine Angehörigen stehen im Mittelpunkt unseres Tuns und Handeln. Wir schauen auf das, was sie brauchen. Das ist das Leitbild unseres Handelns für einen absehbar befristeten Aufenthalt.
Tangiert Sie die aktuelle Diskussion über Sterbehilfe?
Nadenau: Die Diskussion wird die Themen Tod und Sterben in der öffentlichen Diskussion nach vorne bringen. Es ist erstaunlich, dass sich die Politik über alle Parteigrenzen hinweg über das Thema unterhält, das so ganz viel Öffentlichkeit erfährt. Die Palliativ- und Hospizarbeit erhält so eine sehr gute Plattform.
Ist aktive Sterbehilfe ein Thema?
Nadenau: Eines vorweg: Für uns ist es nicht vorstellbar, aktive Sterbehilfe zu geben – auch wenn wir den Wunsch oft hören. Ich kann den Wunsch ja auch sehr gut verstehen. Wir hatten einmal einen Gast nach einem Suizidversuch hier. Nach seinem friedlichen Tod im Hospiz kam von seiner Familie ganz großer Dank für die Hilfe und dafür, dass wir einen alternativ gangbaren Weg aufgezeigt haben. Jeder Selbstmord ist eine einsame, verzweifelte Entscheidung. Hier sind Sterbende nicht alleine. Neben aller medizinischen Versorgung ist in jedem Fall jemand da, der sie hält, der für sie da ist gegebenenfalls umarmt, die Sprachlosigkeit mit aushält. So ist das Sterben ganz anders zu ertragen.
Hat das auch etwas mit Menschenwürde zu tun?
Nadenau: In jedem Fall! Viele Menschen können wegen ihrer Erkrankung vieles nicht mehr mitmachen oder haben ein stark verändertes Äußeres. Daraus resultiert die Angst, nicht mehr dazu zu gehören, nicht mehr selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können. Hier erfahren die Menschen bis zuletzt Wertschätzung und Respekt – ganz gleich wie sich ihr Äußeres verändert hat oder welche Hilfestellung und Unterstützung sie benötigen oder ablehnen.
Wer entscheidet, ob Todkranke in ein Hospiz können?
Nadenau: Es muss eine so genannte Hospiznotwendigkeitsbescheinigung vorliegen, aus der hervorgeht, dass jemand an einer nicht mehr zu heilenden Krankheit leidet, die so weit vorgeschritten ist, dass die Lebenserwartung nur noch einige Tagen oder wenige Wochen beträgt. Die stellt der behandelnde Arzt oder das Krankenhaus aus. Diese formelle Bescheinigung brauchen wir, um eine Kostenzusage der Krankenkasse, die 90 Prozent der Kosten trägt, zu erhalten. Der Bedarf ist zumeist höher, als die zwölf Gästezimmer bei uns im Haus.
Was zu Härtefällen führen muss.
Nadenau: Wir haben eine Warteliste, die chronologisch angelegt ist. Dennoch entscheiden wir immer aus der aktuellen Situation und Bedarfslage der Betroffenen heraus. Manchmal ist eine häusliche Versorgung möglich und vor allem auch gewünscht, manchmal ist noch ein Krankenhausaufenthalt wichtig und richtig, manchmal sind sie aber auch schon gestorben, bevor wir ein Zimmer anbieten können. Der permanente Kontakt zu den Familien ist also schon wichtig. Aber ja – es kommt immer wieder zu harten Entscheidungen. Deshalb ist es gut, dass es bald ein zweites Hospiz in Aachen geben wird.
Sie arbeiten im Kuratorium der Hospizstiftung, die sich auch um das neue Haus am Iterbach kümmert, mit. Gibt es da kein Konkurrenzdenken?
Nadenau: Die Belegungszahlen sind für die Kostendeckung aller Häuser wichtig – der Konkurrenzgedanke ist also nicht komplett auszuschließen. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten das offene Gespräch suchen: Wo darf es Konkurrenz geben? Wo kann es Synergien geben? Aber die Verantwortlichen für das neue Hospiz am Iterbach und wir haben dieselben Ziele. Wir sind auf einem guten Weg für ein gemeinsames Angebot für die Menschen in der Städteregion. Bei Homecare (Mitträger des neuen Hauses, Anm.d.Red.) gibt es eine ganz große Offenheit, sich auszutauschen. Wir haben noch nie so intensiv an einem gemeinsamen Tisch gesessen wie jetzt.
Ist angesichts dieser Erwartung nicht unhaltbar, dass die Kassen nur 90 Prozent der Kosten tragen – Sie also zehn Prozent selbst erwirtschaften müssen?
Nadenau: Das kostet schon Zeit und Energie. Eine komplette Übernahme der Kosten wäre aber vielleicht gar nicht so wünschenswert. Ich würde eine 95-prozentige Finanzierung sehr begrüßen. Denn der bleibende Eigenanteil sorgt auch dafür, dass Hospize, die aus einem Bürgerschaftsgedanken entstanden sind und getragen werden, auch den Auftrag haben, an die Öffentlichkeit zu gehen und das Thema Tod und Sterben in der Gesellschaft lebendig zu halten. Dieses Thema gehört in die Gesellschaft.
Welche Möglichkeiten der Unterstützung für Ihr Haus gibt es?
Nadenau: Wir haben zum Beispiel die Idee einer Hospizpatenschaft entwickelt, veranstalten kulturelle Abende mit Benefizcharakter oder haben auch unseren Förderkreis, über den jedermann etwas zur Erbringung des Eigenanteils beitragen kann (siehe Zusatzbox). Unsere Arbeit kann man nicht über Plakate nach außen tragen. Dies geschieht über direkte Gespräche und persönliche Kontakte. Wir sind keine anonyme Versorgungsinstanz.
Welche Rollen spielen die Familien der Gäste?
Nadenau: Eine ganz große. Die Angehörigen können selbst bestimmen, wie nah sie dran sind. Partner können mit einziehen und auch hier leben. Wir beobachten oft, dass Familien angesichts des nahenden Todes wieder zusammenrücken.
Welche Rolle spielt Religion/Kirche?
Nadenau: Wir sind ein vom christlichen Gedanken geprägtes Haus. Der Bau des Hospizes führt auf das Oratorium des heiligen Philipp Neri als ersten Träger des Hauses zurück. Unser Haus steht aber – eben auch aus einer christlichen Haltung heraus – allen Kulturen offen. Wir haben hier auch schon Gäste gehabt, die nach ganz anderen Ritualen verabschiedet wurden. Zu unserer Arbeit gehört, offen zu sein für alles, was Menschen bewegt – auch wenn dieser Weg oft noch nicht bekannt ist. Es gehört zur ureigensten Spiritualität, diese Erfahrungen machen zu können.
Also auch die Todeserfahrung.
Nadenau: Ja. Aber eines möchte ich zum Schluss dieses Interviews betonen: Es wird häufig gesagt, dass Hospize Sterbebegleitung machen. Das stimmt nicht: Wir machen Lebensbegleitung.
Hans-Peter Leisten
Quelle: Aachener Zeitung vom 12. Dezember 2014
Foto: Michael Jaspers
Mit freundlicher Genehmigung der Zeitungsverlag Aachen GmbH, Aachen, http://www.zeitungsverlag-aachen.de/
veröffentlicht am 12. Dezember 2014 in den Kategorien AZ, Hospiz, Pressespiegel